Ein Tag im internationalen Blindenzentrum Landschlacht, SchweizSchon seit Wochen waren wir, die Schülerinnen der katholischen Religionsgruppe R 10 c und d, gespannt, wie der Tag im Internationalen Blindenzentrum Landschlacht/Schweiz, sein würde.

Unsere Religionslehrerin hatte mit den beiden Leitern des IBZ ein Programm für uns geplant: Showdown- eine Art Tischtennis mit Augenbinden und Klingelball, dann Duftgarten, Gesprächsrunde, Blindenbibliothek, Brailleschrift, Fragestunde mit Betroffenen und als Highlight einen ausgiebigen Aufenthalt in der Unsicht-Bar.

Schon die Busfahrt nach Landschlacht war spannend: Bis der freundliche Busfahrer endlich wusste, wie viel jeder von uns an Fahrtkosten zu zahlen hatte (astronomisch hohe Beträge von fast 12 Euro), waren wir schon fast an der Grenze zur Schweiz.

In Landschlacht hatten wir einen Fußweg von 20 Minuten zum Blindenzentrum. Dort angekommen stach uns sofort das Tischfußballspiel für Blinde ins Auge: Ein Klingelball musste mit einem Schläger ins gegnerische Tor befördert werden - mit dunkler Augenbinde natürlich. Unglaublich, wie man sich anstellen kann, wenn man zum ersten Mal nur auf das Gehör angewiesen ist! 80 % unserer Sinneswahrnehmungen erfolgen über optische Eindrücke, 155 über das Hören, die restlichen 5 % verteilen sich auf den Geruchssinn, den Tastsinn und den Geschmack. Erst, wenn man das weiß, wird einem klar, welche Herausforderung das Leben ist, wenn das Sehen wegfällt.

Neben dem Sportplatz ist man von einem Konzert an Düften umgeben: Rosen, Veilchen, Minze, Rosmarin, Liebstöckel, alle möglichen Blumen und Kräuter, von denen man eine Nase voll mitnehmen kann.

Wir waren verblüfft, wie sicher Herr Gruber, Leiter des Zentrums, ohne Hilfsmittel auf uns zukam und unsere Lehrerin sofort an der Stimme erkannte. Seine lockere Art half uns über anfängliche Schüchternheit hinweg. Diesmal war der Clou schon ziemlich am Anfang ins Programm eingebaut: Die Unsicht-Bar. In vier Gruppen begleitete er uns vom hellen Sonnenlicht draußen in die Bar, in der undurchdringliche Dunkelheit herrschte. Dort wartete bereits Herr Rehmann auf uns, der sicher die von uns gewünschten Getränke in unbegrenzter Menge bereitstellte und uns immer wieder unser "Mittagessen", die angeblich weltbesten Schweizer Kartoffelchips, nachfüllte.

Wir versuchten herauszufinden, ob unsere Geschmacksnerven anders reagieren, wenn wir nicht sehen (ja, alles schmeckt irgendwie anders!) und ob wir uns in der Bar räumlich orientieren konnten. Man merkt mit etwas Übung bald, dass gleich eine Person oder eine Wand vor einem auftauchen wird. Auch das anfangs beklemmende Gefühl, überhaupt gar nichts mehr zu sehen, löste sich durch die Gespräche mit Roland (Gruber) und Urs (Rehmann) schnell auf. Einen Teil der Gesprächsrunde hatten wir dann über eine Stunde lang in der Dunkelheit. Hier durfte man endlich dazwischenrufen ohne sich zu melden - völlig anders als in der Schule!

Beim Auftauchen aus der Dunkelheit muss man sich, weil die Pupillen sich durch die lange Gewöhnung an die Dunkelheit ganz geweitet haben, vor der hellen Sonne in Acht nehmen. Alles erschien ganz grell.

Nochmals eine Pause am Showdown mit Klingelball und Schläger, bevor es zur nächsten Gesprächsrunde ging. Urs und Roland beantworteten auch ganz persönliche Fragen (z. B. wie sie erblindeten, wie man flirtet oder mit anderen Menschen Kontakt aufnimmt, wie das ist, wenn man sich von seinem eigenen Kind nur eine innere Vorstellung machen kann, wie man reagiert, wenn man ungefragt über die Straße geführt wird, die man gar nicht überqueren will, wie man mit Ängsten umgeht usw.).

Wir lernten, dass im Blindenzentrum Blinde und Sehbehinderte und ihre Angehörigen sorgenfrei Urlaub machen können und dass dort Kurse für optisch Gehandicapte angeboten werden (z. B. ein Kurs, wie ein IPhone Blinden ihr Leben sehr erleichtern kann), wie man nach der Erblindung wieder im Alltag zurechtkommen kann. Es gibt sprechende Uhren, Blindenstöcke mit piepsenden Entfernungsmessern; wir haben gelernt, wie Blinde z. B. selbständig Getränke in ein Glas einschenken, wie Taubblinde dennoch Sprache verstehen können (Lormen), wir lernten die Sprachausgabe eines Computers kennen usw. Wir haben die Blindenbibliothek für die Schweiz kennen gelernt: In Hunderten von Regalen lagern in Punktschrift geschriebene Bücher, die dick wie ein Lexikon sind, aber den Umfang eines kleinen Taschenbuchs haben. Die Bibliotheksangestellten schreiben mittels Punktschrift-Schreibmaschinen und der sogenannten "Braille-Zeile". Louis Braille, ein Franzose, der erblindete, dachte sich die Punktschrift aus, die aus Kombinationen von 6 Punkten besteht. Wir durften versuchen, Brailleschrift zu lesen - aber keine Chance! Urs, der vollständig blind ist, behauptete, auch wir könnten innerhalb einer halben Stunde das gesamte Braille-Alphabet lernen. Er selbst liest in einer Geschwindigkeit mit den Fingern, die viele von uns Sehenden nicht erreichen.
Wir wissen nun, dass Menschen aus verschiedensten Gründen blind sein können: Manche von Geburt an, andere durch Unfälle, die meisten durch Gendefekte, die langsam die Zellen der Netzhaut absterben lassen. Wir wissen, mit welchen Schwierigkeiten diese Menschen zu kämpfen haben. Für die meisten von uns ist es unvorstellbar, dass man genau weiß, man wird irgendwann nichts mehr sehen können - das muss grausam sein!

Wir wissen aber auch, dass auch Blinde und schwer Sehbehinderte nicht unglücklicher sind als Sehende. Die meisten von ihnen haben durch diese Herausforderung eine ganz starke Persönlichkeit entwickelt und können mit Hilfsmitteln fast so leben wie Sehende.

Die Behinderung, die man zuerst wahrnimmt, wenn man diesen Menschen begegnet, tritt umso mehr in den Hintergrund, je mehr man sie kennen lernt.

Und ganz wichtig: Der Mensch ist unendlich viel mehr als seine Behinderung! Sie ist nur ein kleiner Teil von ihm.

Schade fanden wir, dass wir das Tonstudio nicht mehr anschauen konnten - wir waren zu lange in der Unsicht-Bar!

Schade auch, dass das Internationale Blindenzentrum nur noch bis im September für die Menschen mit optischen Handicaps da sein wird. Im Sommer soll es geschlossen werden. Dann ist das einzige Blindenzentrum der Schweiz im Tessin. Die Leute, die im IBZ Landschlacht arbeiten, müssen sich andere Arbeitsplätze suchen.

In Deutschland sind die nächsten Blindenzentren in der Nähe von Schramberg und in Waldkirch, dann in Heidelberg und in Marburg.

Eine klasse Exkursion! Wir bedanken uns ganz herzlich beim Förderverein der Geschwister- Scholl-Schule für die großzügigen Zuschüsse zu Busfahrt und Eintritt.